Tempel in den Wolken
Die Sonne kroch über den Horizont, tauchte die Welt in ein goldenes Feuer und ließ die Wolken glühen wie flüssiges Licht. Hoch über der Erde erhob sich ein Tempel, dessen spitze Dächer die Nebel durchstachen, als wollten sie den Himmel berühren. Um ihn herum tanzten Vögel, ihre Flügel fingen das Morgenlicht und warfen es in funkelnden Splittern zurück.

Ich stand am Rand der Wolken, das Herz schlagend im Takt des Windes, der sanft über die weichen Kanten strich. Der Tempel schien zu atmen, seine goldenen Wände erzählten von Zeiten, die älter waren als die Sterne. Der Duft von Weihrauch lag in der Luft, ein Hauch von Heiligkeit, der mich einlud, näher zu treten.
Als ich die erste Stufe erklomm, fühlte ich, wie die Welt unter mir verschwand. Die Wolken trugen mich, und die Vögel sangen ein Lied ohne Worte, das tief in meine Seele drang. Im Inneren des Tempels fand ich eine Schale aus Licht, die mein Spiegelbild einfing – nicht mein Gesicht, sondern meine Hoffnungen, meine Ängste, mein unbegrenztes Potenzial.
Der Wind flüsterte, dass dieser Ort nur für jene sichtbar sei, die nach Frieden suchten. Ich schloss die Augen und ließ das Licht meine Gedanken reinigen. Die Vögel kreisten weiter, ein Kreis des Lebens, der mich an meine eigene Reise erinnerte. Doch der Tempel bot mehr als nur einen Moment der Ruhe. An den Wänden entdeckte ich eingravierte Symbole, die wie alte Schriften wirkten – Geschichten von Wanderern, die vor mir hier standen, von Träumen, die sie fanden, und von Lasten, die sie losließen.
Jedes Symbol erzählte von einem anderen Weg, einer anderen Wahrheit. Einige zeigten Hände, die zum Himmel reichten, andere Füße, die fest auf der Erde standen. Ich berührte die kühlen Steine und fühlte eine Verbindung zu all jenen, die diesen Ort heilig hielten. Die Luft wurde schwerer, erfüllt von einem Summen, das nicht von dieser Welt zu sein schien. Es war, als ob der Tempel selbst lebte, als ob die Wolken und das Licht miteinander sprachen.
Die Vögel kehrten zurück, landeten kurz auf den Dächern und stiegen wieder auf, als wollten sie mich ermutigen, weiterzugehen. Ich setzte mich neben die Lichtschale, ließ die Wärme meine Hände durchdringen und dachte an die Wege, die vor mir lagen. Der Tempel lehrte mich, dass Frieden nicht nur ein Ziel ist, sondern ein Zustand, den man in jedem Schritt finden kann. Als ich den Tempel verließ, schwand er langsam in die Wolken, doch sein Glanz blieb in mir – eine Erinnerung daran, dass Frieden in uns allen wohnt, wenn wir bereit sind, ihn zu finden.
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