Die zweite Kerze im Tal des Lichts

Das kleine Tal war an diesem Abend in ein sanftes Rosa getaucht. Der Himmel schimmerte wie ein stiller Atemzug, der die Welt für einen Moment anhalten wollte. Schnee fiel langsam, in weiten Bögen, und die Lichter der Häuser glühten warm wie kleine Herzen im Winter.

Lara stand am Fenster ihres Hauses und blickte auf das Dorf hinunter.
Heute war der zweite Advent.

Ein Tag, der immer ein wenig leiser war als der erste — nicht voller Erwartung, sondern voller Ruhe. Wie ein Einatmen, bevor man tiefer sinkt. Sie zündete die zweite Kerze an, beobachtete, wie die Flamme schwankte und sich dann stabilisierte. Ein ruhiges, kleines Licht — und doch reichte es, um den ganzen Raum weicher zu machen.

Kurz darauf stapfte sie durch den Schnee den Hang hinunter. Jeder Schritt hinterließ ein leises Knirschen. Das Dorf wirkte, als wäre es aus einem Traum geboren: Lichterketten, die wie Sterne an den Dächern hingen, Kränze in Violett und Gold, zarte Spuren im Schnee, wo Nachbarn am frühen Morgen vorbeigegangen waren.

Sie blieb auf dem kleinen Platz stehen, wo ein geschmückter Baum stand.

Nicht groß. Aber voller Licht. Ein alter Mann, der in der Nähe wohnte, kam lächelnd auf sie zu.
„Der zweite Advent“, sagte er. „Der Advent der Stille. Weißt du, was das bedeutet?“
Lara schüttelte den Kopf.
„Es ist der Moment, in dem wir merken, wie viel Frieden wir in uns tragen — wenn wir endlich aufhören, nach ihm zu suchen.“

Sie sah wieder auf das Dorf. Nichts hatte sich verändert.
Und doch fühlte es sich an, als würde der Schnee leiser fallen, die Häuser wärmer leuchten und die Luft weicher schweben.

Vielleicht brauchte Frieden kein großes Zeichen.
Vielleicht reichte ein stilles Dorf im Schnee, eine Kerze…
und die Bereitschaft, den Moment zuzulassen – zwei Kerzen im Tal des Lichts.


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