Der Tempel im Sonnenaufgang
Als die Sonne ihre ersten Strahlen über den Horizont schickte, erwachte der Himmel in einem goldenen Feuer. Zwischen den Wolken, dort wo die Welt in Licht getaucht war, erschien der Tempel im Sonnenaufgang. Seine Dächer glänzten, als wären sie aus purem Gold geschmiedet, und das Licht der Morgensonne schien ihn von innen heraus zu erhellen.

Ein schmaler Weg führte hinauf, aus dem Nebel gewebt, gesäumt von leuchtenden Laternen. Niemand wusste, wer sie entzündet hatte, doch sie brannten jede Nacht, um den Tempel zu bewachen. Schon von Weitem konnte man die Glocken hören, ihr leiser Klang vermischte sich mit dem Rauschen des Windes.
Die Alten erzählten, dass dieser Ort nur für jene sichtbar sei, die nach Wahrheit suchten. Wer den Mut fand, den Weg durch die Wolken zu gehen, würde Antworten finden – vielleicht nicht die, die er erwartet, aber die, die er braucht.
Ich setzte den ersten Schritt auf die Treppe aus Licht. Unter mir zog das Wolkenmeer vorbei, endlos, wie eine sanfte See. Über mir erhob sich der Tempel, majestätisch, zeitlos. Vögel stiegen aus dem Morgennebel empor, ihre Flügel fingen das Licht und ließen es in tausend Splittern tanzen.
Im Tempel selbst war es still. Nur das Atmen der Welt schien hier zu existieren. In der Mitte des Hauptsaales stand eine Schale aus Kristall, gefüllt mit reinem Sonnenlicht. Ich trat näher und sah mein Spiegelbild darin – nicht so, wie ich war, sondern wie ich sein konnte. Es war, als schenke mir das Licht einen Blick auf meine Möglichkeiten, frei von Angst, frei von Zweifeln.
Als ich den Tempel wieder verließ, war die Sonne bereits höher gestiegen. Der Tempel schien sich langsam in den Nebel zurückzuziehen, als wolle er sagen: „Du hast gesehen, was du sehen musstest.“ Und tief in mir wusste ich – dieser Ort wird bleiben, solange es Suchende gibt.
Urheberrechtshinweis:
Das Bild sowie der dazugehörige Text dieser Kurzgeschichte sind jeweils eigenständige, urheberrechtlich geschützte Werke. Jede Art der Nutzung, Vervielfältigung oder Weitergabe – ganz oder teilweise – ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung untersagt.
Kontakt: coma@matyus.at
Webseite: cornelia.matyus.at
