Der Stand der süßen Augenblicke

Der Duft von Zimt, Vanille und warmem Honig lag in der Luft, als Johanna über den Weihnachtsmarkt schlenderte. Menschen lachten, Kinder zogen an den Händen ihrer Eltern, und über allem glitzerten Lichterketten wie herabfallende Sterne. Doch was ihre Aufmerksamkeit fesselte, war der kleine rote Stand am Ende der Gasse.

Er strahlte heller als alle anderen.
Nicht wegen der Lichter.
Wegen etwas anderes.

Auf den Regalen lagen Lebkuchen in allen Formen: Sterne, Herzen, Hirsche, Stiefel. Genau daneben Plätzchen, fein verziert, und kleine, liebevoll gestaltete Figuren aus Teig. Es war, als hätte jemand nicht einfach gebacken — sondern Erinnerungen geformt.

Johanna näherte sich und blieb stehen.

Hinter dem Stand stand eine ältere Frau mit warmen Augen und einem Lächeln, das wirkte, als würde sie jeden Gast schon kennen, bevor er ein Wort sagte.

„Schön, dass du da bist“, sagte die Frau sanft, ohne zu wissen, wer Johanna war.

Johanna blinzelte überrascht.
„Ich… habe nur geschaut.“
„Dann schau mit dem Herzen“, antwortete die Frau, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.
Sie reichte Johanna einen kleinen Lebkuchenstern.
„Probier.“

Johanna biss hinein — und etwas Unerwartetes geschah. Nicht der Geschmack rührte sie, sondern der Moment selbst. Der ruhige Blick der Frau. Die Wärme ihrer Stimme. Das Gefühl, gesehen zu werden, ohne sich erklären zu müssen.

Menschen liefen an ihnen vorbei, trugen Tüten, redeten laut, jagten dem nächsten Stand hinterher. Johanna aber stand da und merkte, wie ihr Körper einen Gang herunterfuhr. Wie sie atmete. Wie sie ankam.

„Weißt du“, sagte die Frau leise, „manchmal sind die süßesten Augenblicke die, die man nicht geplant hat.“

Johanna lächelte. Und zum ersten Mal an diesem Tag fühlte sie sich wirklich im Hier und Jetzt.


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