Der Nikolaus, der mehr schenkte als Geschenke

Der Schnee fiel in sanften Flocken, als der Nikolaus an diesem Abend durch die schmalen Gassen des kleinen Dorfes ging. Sein rotes Gewand leuchtete im warmen Laternenlicht, und der goldene Hirtenstab glitzerte wie ein Stern, der seinen Weg kannte. Hinter den Fenstern der alten Holz­häuser tanzten Kerzenflammen, und Kinder liefen voller Vorfreude über den Platz, als sie ihn endlich sahen.

Nikolaus blieb stehen und lächelte.
Kein lautes, auffälliges Lächeln — sondern eines dieser wenigen, die wirklich von innen kommen.

Die Kinder drängten nach vorne, und ein Junge, etwa acht Jahre alt, trat ehrfürchtig vor. Er hielt ein kleines, sorgfältig eingepacktes Geschenk in der Hand. Das Papier war etwas verknittert, die Schleife schief gebunden — aber es war mit einer solchen Hingabe gemacht, dass Nikolaus sofort spürte, wie viel Herz darin steckte.

„Für dich“, sagte der Junge leise.
Die Menge verstummte.
Ein Kind schenkte dem Nikolaus etwas?
Nicht andersherum?

Nikolaus nahm das Geschenk behutsam entgegen. Dieses Mal war er es, der sich verneigte — nicht tief, aber mit echter Anerkennung. Das Geschenk wog kaum etwas, doch es fühlte sich schwerer an als alles, was er in seinem Sack trug.

„Weißt du, warum das so besonders ist?“, fragte Nikolaus.
Der Junge schüttelte den Kopf.
„Weil du aus Freude gegeben hast — nicht aus Pflicht. Weil du gesehen hast, dass auch jemand, der schenkt, etwas empfangen darf.“

Die Kinder lächelten. Manche verstanden es sofort, andere würden es erst Jahre später begreifen. Aber der Moment selbst — der blieb.

Der Schnee glitzerte im Licht der Straßenlaternen. Und für einen Augenblick schien es, als hätte das ganze Dorf den Atem angehalten.

Nikolaus öffnete das Paket nicht. Er musste es nicht. Er wusste: Das größte Geschenk darin war die Absicht. So kam es dass auch der Nikolaus, mehr schenkte als Geschenke.


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