Das Leuchten im Winterwald

Lukas liebte den Wald im Winter. Besonders in der Vorweihnachtszeit, wenn alles ein wenig stiller wurde – draußen und in ihm selbst. Doch an diesem Abend war etwas anders. Ein frostblauer Schein schimmerte zwischen den Bäumen, weich wie Atem in der Kälte, und lockte ihn tiefer hinein.

Je weiter er ging, desto heller wurde das Licht. Zwischen den Baumwurzeln schwebten glühende Pflanzenbüschel, die wie kleine Sterne aus dem Boden wuchsen. Sie pulsieren leise, als würden sie im Rhythmus seines Herzens atmen.

Lukas kniete sich hin und betrachtete eines der Lichtbüschel genau. Die feinen, schimmernden Fäden wirkten fast lebendig. Als er die Hand vorsichtig darüber hielt, spürte er etwas Unerwartetes: Wärme. Nicht nur körperliche Wärme – sondern etwas, das tiefer ging. Eine Erinnerung. Ein Gefühl.

Er dachte an das alte Ehepaar im Dorf, das jedes Jahr um diese Zeit allein war. An den kleinen Jungen von nebenan, der sich beim Spielen nie traute, die anderen Kinder anzusprechen. Und an seine eigene Großmutter, deren Augen jedes Jahr ein bisschen trauriger wurden, wenn die Tage kürzer wurden.

Plötzlich begriff er, wofür dieses Leuchten im Winterwald stand. Es war wie eine Einladung.

Eine Erinnerung daran, dass jeder von uns ein Licht tragen kann – und dass manche Menschen in genau dieser Zeit stärker darauf angewiesen sind, dass jemand ihnen den Weg erhellt. Lukas stand auf. Der Wald schimmerte nun heller, fast so, als hätte er seine Gedanken gehört. Ein sanfter Frieden breitete sich in ihm aus.

Er wusste, was er morgen tun würde. Als erstes bei dem älteren Ehepaar klingeln. Danach würde er den Nachbarsjungen zum Spielen einladen. Und er würde seine Großmutter nicht erst an Heiligabend besuchen – sondern sofort.

Denn Licht wird erst dann zu Wärme, wenn wir es teilen.

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