Der Abend vor dem Licht

Der Abend legte sich wie ein Versprechen über das Dorf.
Nicht laut, nicht feierlich — eher so, als würde er sagen: Jetzt ist alles da.
Die Häuser standen dicht beieinander, warm erleuchtet, jedes Fenster ein stilles Ja. Laternen säumten den Weg, ihr Licht lag weich im Schnee und zeigte mehr, als es erklären musste. Schritte waren zu hören, vereinzelt, langsam, ohne Ziel. Niemand ging, um anzukommen. Man ging, um noch einmal draußen zu sein.

Der Himmel glühte in Farben, die nur an solchen Abenden erscheinen. Als hätte der Tag ein letztes Geschenk dagelassen, bevor er ging. Die Dächer trugen den Schnee geduldig, die Tannen standen ruhig, als wüssten sie längst, was kommt.

Es war der Abend vor dem Licht. Nicht der Moment der Ankunft, sondern der davor. Der Augenblick, in dem nichts mehr fehlt — und nichts mehr gesucht wird. Hinter den Fenstern wurde leise gesprochen. Oder gar nicht. Manchmal reicht Anwesenheit. Manchmal reicht das Wissen, dass man da ist, wo man gerade sein soll.

Der Weg durch das Dorf führte nicht irgendwohin. Er führte hindurch. Durch das Warten, durch das Innehalten, durch diese besondere Form von Zeit, die nicht vergeht, sondern sich sammelt.

Vielleicht ist genau das der Zauber dieses Abends. Dass er nichts fordert. Dass er nichts ankündigt. Er ist einfach da — und macht Platz für morgen.


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