Das Geheimnis der Morgensonne

Noch bevor die Welt erwachte, lag ein zarter Schimmer über den Wolken. Ein goldenes Glühen, das sich kaum greifen ließ, als wollte es erst prüfen, ob die Welt bereit war, es zu empfangen. Dann brach die Morgensonne hervor – still, majestätisch und voller Gnade.

Ihr Licht fiel auf einen Tempel, der über den Wolken thronte. Kein menschlicher Baumeister hatte ihn je errichtet. Er war geboren aus Zeitlosigkeit, aus Erinnerung und Glauben. Seine Tore standen offen, und der Wind spielte mit den silbernen Bändern, die von seinen Dächern hingen.

Ein Wanderer, dessen Seele müde war vom Suchen, trat näher. Die Stufen wirkten endlos, doch mit jedem Schritt wurde die Last leichter. Er spürte, wie Gedanken verstummten, wie das Herz ruhiger schlug. Als er die Schwelle überschritt, verschwand das Gewicht der Welt.

Im Inneren des Tempels gab es keinen Schatten, nur Licht. Es flutete durch ihn hindurch, löste Trennung auf, brachte Erinnerung. Da verstand er, dass die Sonne draußen nur ein Spiegel war – ein Abbild der Sonne in ihm.

Das Geheimnis der Morgensonne lag nicht im Himmel, nicht in der Ferne, sondern in dem leisen Erwachen der eigenen Seele. Sie wollte nichts zeigen, nur erinnern:
An die Kraft, die nie verloren ging.
An die Liebe, die nie erlosch.
An das Licht, das in jedem Menschen wohnt.

Und als der Wanderer die Augen wieder öffnete, sah er die Welt neu – nicht mehr getrennt vom Himmel, sondern eins mit ihm. Die Sonne war aufgegangen – innen wie außen.

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